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Veränderungsruhe aus der Haltung zur Gerechtigkeit

Beitrag 6 von 12 der Reihe „25 Worte über das bewegungsvolle Jahr 2020“

Ist Gerechtigkeit eine utopische Illusion?

Wir sind Anna und Sabina. Als Organisationentwickler begegnet uns der Anspruch, Veränderung gerecht zu gestalten durchaus oft. Wer bekommt welche Rolle? Welche Rolle entspricht welcher Gehaltsstufe? Mit welchem Projekt wollen wir den ersten Veränderungsschritt wagen? Warum darf ein anderer in das tolle Projekt und ich nicht? Diese und viiiiele andere Fragen rund um das Thema Gerechtigkeit sind Alltag, auch wenn sie nicht immer laut ausgesprochen werden. Wir wollen keine Antworten auf diese Fragen finden, sondern uns der Gerechtigkeit als eine Art der Haltung nähern. Wir folgen damit in gewisser Weise einem Zitat von Gottfried Wilhelm Leibnitz: „Die Gerechtigkeit ist nichts anderes als die Nächstenliebe des Weisen." Ihr seid wie immer herzlich eingeladen, mit in den Diskurs einzusteigen. So könnte es uns gemeinsam gelingen, in den immer wiederkehrenden Veränderungen der Neugier vor der Spaltung den Vortritt zu lassen.

Unser Wort-Duett von heute: „Gerechtigkeit“ und „Veränderungsruhe“

Das Jahr 2020 macht gerade für jeden sehr nah erlebbar, was es heißt sich immer auf neue Rahmenbedingungen oder Kontexte einstellen zu müssen. Gewissermaßen vereint uns 2020 in diesem Erlebnis. Von Veränderungsruhe kann kaum gesprochen werden, sondern vielmehr von großer Unruhe und zwar in allen Dimensionen einer Gesellschaft. Damit sind auch Organisationen stark von Veränderungsunruhe betroffen. Was uns dieses Jahr in einer Extremform vor Augen geführt wird, ist jedoch in Anteilen eine Welt, mit der wir es auch ohne Virus zukünftig zu tun kriegen. Manche sprechen von erhöhter Geschwindigkeit, andere von starken Dynamiken, von größerer Diversität und extremer Komplexität. Am Ende bedeuten alle Ausdruckweisen für uns: Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich stabile Phasen, in denen Klarheit, Optimierung und Standardisierung im Fokus liegen, in sehr viel höherer Frequenz mit instabilen Phasen abwechseln werden, in denen sich Organisationen neu orientieren und verändern müssen. Man kann sich das vorstellen, wie einen generell erhöhten Puls, bzw. einen höheren Rhythmus. Wir können uns vermutlich alle gut vor Augen führen, was das auf lange Sicht als Frage aufwirft: Soll das heißen, wir sind ab sofort nur noch in Hetze und Eile unterwegs?

In manchen Organisationen erleben wir genau diese Eile. Eine Eile, um etwas Verpasstes aufzuholen, eine Eile, um möglichst schnell anpassungsfähig zu sein, eine Eile, einfach nur, um zu fühlen, dass man etwas tut. Wenn man gut beschäftigt ist, entwickelt sich gerne ein Gefühl von Geschwindigkeit und Fortschritt. In Impuls 2 haben wir gelernt, dass das Gegenteil der Fall sein kann. Wir haben innerlich das Gefühl in Bewegung zu sein, aber tatsächlich stehen wir im Stau (Warteschlangen).

Immer wiederkehrende Veränderungsphasen und hohe Komplexität haben also ihre Tücken. Netzwerke sind ein guter Ansatz, um sich darin gut zurechtzufinden, weil man es so gemeinsam tut. Damit muss sich jedoch nicht unbedingt das Gefühl von Hochgeschwindigkeit reduzieren. Das heißt wir brauchen einen anderen Umgang, eine andere Haltung und ein anderes Gefühl gegenüber den Dingen, die wir in Veränderungen erleben können. Ein kontinuierlich erhöhter Puls kann nicht lange gut gehen, also lasst uns wie Biathleten trainieren. Lasst uns Profisportler werden, wenn es darum geht Gas-Geben und Ruhig-Blut im ständigen Wechsel zu haben. Ein wichtiger Aspekt im Umgang mit Veränderung ist die Sicht, wie ich darauf blicke. Wir haben zu Beginn des Impulses darüber gesprochen, wie wichtig Gerechtigkeit anscheinend ist. Gerade wenn sich Dinge verändern, möchte ich den wichtigsten menschlichen Halt sicherstellen, nämlich: Ich bin Teil davon, ich werde nicht ausgegrenzt, ich gehöre dazu. Ich bin nicht egal. Aber wie weiß ich das? Vielleicht indem ich erleben kann, dass ich gerecht oder gleichberechtigt behandelt werde? Dass mir das gleiche Recht zuteil wird, wie allen anderen?

Wenn wir versuchen darauf Antworten zu formulieren, bemerken wir, dass das mit der Gerechtigkeit eine wirklich verzwickte Sache ist.

Im Namen der Gerechtigkeit

Es gibt ja schon einmal viele Arten von Gerechtigkeit: Bildungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit in der politischen Debatte, globale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit im Sinne des gleichsamen (Auf-)Teilens. Man könnte vermutlich noch etliche andere Formen finden. Wir möchten uns auf das Gerechtigkeitsempfinden in organisationalen Kontexten fokussieren. Gerade in Veränderungsphasen suchen wir stark nach gerechten Behandlungen, gerechter Aufteilung von Aufgaben, gerechten Vorgehen, gerechten Regeln, gerechten Entscheidungen, gerechter Informationsteilung, gerechten Karrierechancen. An dieser Stelle unterbrechen wir die Liste der Gerechtigkeit erst einmal. Gerechtigkeit scheint auf jeden Fall ein starkes Bedürfnis zu sein. Es lohnt sich also einen Blick auf das Wort selbst zu werfen:

Gerechtigkeit kommt aus dem Althochdeutschen Adjektiv gireht, was gerade, aufrecht, richtig oder rein heißt. Mit der Bedeutung von Gerechtigkeit haben sich schon die alten Philosophen, wie Aristoteles oder Platon auseinandergesetzt. Aristoteles selbst beschreibt Gerechtigkeit als einen Umstand, in dem die einzelnen Teile ihre Funktionen in einem harmonischen Miteinander erfüllen. Für Platon ist Gerechtigkeit sogar eine Kardinalstugend, durch die die 3 Seelenteile in Balance gehalten werden (das Begehrende, das Muthafte, das Vernünftige). So wie Platon Gerechtigkeit als eine Haltung der Balance sieht, so verbildlichen wir Gerechtigkeit z. B. mit der Waage. Die symbolhafte Figur Justitia hält die Waage in der Hand als Attribut für eine sorgfältige Abwägung der Sachlage.
Nun stellt sich die Frage, wonach wägen wir die Sachlage ab? Das Rechtssystem versucht dies über festgelegte Gesetze. Mit dem Ziel möglichst alles in eine gerechte Abwägung zu bringen, haben wir uns mit Gesetzen überhäuft. 2005 waren es anscheinend 2.197 Bundesgesetze, 46.777 Einzelvorschriften und 3.131 Verordnungen mit 39.197 Einzelvorschriften (welt.de – Wir haben einfach zu viele Gesetze 09.05.2005). Da wir nicht dazu tendieren, veraltete Dinge wegzuschmeißen, wird sich die Zahl vermutlich bis heute nochmals erhöht haben. Aber das ist nur eine Vermutung unsererseits.

Lavendelfarben blüht die Gerechtigkeit?

Was können wir jedoch daraus für Organisationen lesen? Wir erleben, dass mehr Regeln, Prozesse und Gesetze nicht unbedingt zur mehr Durchblick führen. Im Gegenteil, wir entfernen uns damit vom Annähern, weil wir uns nur noch auf die Regel fokussieren und nicht auf das Gespräch, das Aufeinanderzugehen und das Differenzieren von Situationen und Kontexten. Wir machen die provokative Hypothese auf: Gerechtigkeit in struktureller Form ist eine utopische Illusion. Vor allem, wenn es sich um komplexe Umfelder handelt. Komplexe Umfelder sind dynamisch, wie wir wissen. Sie sind kognitiv nicht erfassbar, wir können nicht vorhersagen, was darin passieren wird und wir können die Wirkfaktoren darin nicht komplett erfassen.

Als Gedankenexperiment bedeutet das für unsere Gerechtigkeit, dass pauschale Ansätze, pauschale Regeln in Zukunft keine sonderlich nachhaltigen Lösungen mehr generieren. Sie können einen Rahmen stecken, in dem wir uns dann eigenständig und kontextabhängig bewegen. Doch damit das in der Gemeinschaft funktioniert, benötigen wir eines der wichtigsten Worte unserer Zeit: Verantwortungsübernahme. Nicht nur im Handeln, sondern auch in unserer Sprache und vor allem im Umgang mit den eigenen Gedanken und Gefühlen, aber auch denjenigen unserer Mitmenschen. Die Fragen, die wir uns stellen sollten, sind nicht: Was hat der andere, was ich nicht habe? Warum darf der andere und ich nicht? Warum ist das Gras auf der anderen Seite des Zauns immer grüner? In der Suche nach Orientierung, nach Anerkennung, nach Bestätigung darüber, dass wir nicht egal sind und dass wir geliebt werden, konzentrieren wir uns oftmals zu stark auf Nachbars schöneren Garten.

Wir vergessen, dass die Antworten auf die meisten unserer Fragen und Unruhen in uns selbst liegen. Wenn der Lavendel beim Nachbarn schöner aussieht als bei mir, dann kann mir das völlig egal sein. Ich kann mich darüber freuen, dass es ihm so gut gelingt. Aber der Lavendel hat nichts mit mir zu tun, genauso wenig, wie im Grunde das Gehalt eines anderen, die Rolle eines anderen, die Aufgaben eines anderen im Hinblick auf Gerechtigkeit nichts mit mir zu tun haben. Um meine innere Unruhe und die Bewegung um mich herum in Veränderungsphasen in Balance zu kriegen, den Puls zu regulieren, muss ich mich einfach nur auf eine Sache konzentrieren: Darüber zu sprechen, was mir wichtig ist, welche Bedarfe ich habe, wohin ich mich gerne entwickeln möchte und zwar unabhängig von anderen. Dann kommen wir in ein Gespräch darüber, was wir je nach Situation gemeinsam als gerecht, also aufrecht oder ausbalanciert empfinden und was möglich ist. Kein Gesetz dieser Welt wird uns diese Art der Verantwortungsübernahme abnehmen.

Verantwortung bedeutet hier: Wir suchen die Argumente für unser eigenes Handeln, unsere Sprache und unsere Gefühle nicht bei anderen, sondern im Gespräch mit anderen und unter einem immer liebevollen, aber auch aufmerksamen und lernenden Blick auf uns selbst.

Wie wir diese Art von Lerngelassenheit entwickeln können und damit ein Gefühl von Kontrolle auch in Organisationen zurückgewinnen, möchten wir in Impuls 7 gemeinsam betrachten.

Nun interessiert uns natürlich: Was bedeutet für dich Gerechtigkeit? Wobei erwischst du dich in Bezug auf Gerechtigkeit? Wir freuen uns auf deine Gedanken!

Literatur

Zeichnerische Darstellung von Gerechtigkeit und Veränderungsruhe

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Kennenlernen mit Händeschütteln
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